Virtuelle Influencer: Wie comicartige und menschenähnliche Charaktere Kaufentscheidungen beeinflussen
Virtuelle Influencer erfreuen sich zunehmender Beliebtheit im digitalen Marketing. Sie werden mithilfe von KI erschaffen und sollen möglichst überzeugend wirken. Allein auf Instagram sind etwa 300 virtuelle Influencer und Influencerinnen aktiv. Die computergenerierten Trendsetter reichen von äußert realistisch anmutenden, menschenähnlichen Avataren bis hin zu stärker stilisierten comicartigen Wesen. Eine der bekanntesten menschenähnlichen Influencerinnen ist Lil Miquela. Sie hat aktuell knapp 2,5 Millionen Follower auf Instagram und kooperiert mit renommierten Marken wie Prada und Calvin Klein. Die brasilianische KI-Influencerin Any Malu, Star des US-amerikanischen Fernsehsenders Cartoon Network und bekannt als animierte YouTuberin mit Sinn für Humor, ist dagegen comicartig gestaltet. Ihr YouTube-Kanal hat knapp 4 Millionen Abonnenten und auch auf anderen Social-Media-Plattformen folgen ihr viele Nutzer. Solche virtuellen Personen sind nicht an geografische Grenzen gebunden. Durch eine sorgfältig konzipierte Persönlichkeit und eine überzeugende Storyline gelingt es Influencern beider Formen, große Zielgruppen zu erreichen und interessante Partner für Markenkooperationen zu sein.
Worauf es beim Design virtueller Charaktere ankommt
Dank der Fortschritte in KI und Computergrafik verändern diese digitalen Persönlichkeiten die Art und Weise, wie Kundeninteraktionen gestaltet werden. Sie ermöglichen hochgradig personalisierte, menschenähnliche Erlebnisse auf digitalen Plattformen. Die Charaktere treten als Roboter, Tiere, Comicfiguren, menschenähnliche Avatare oder sogar Aliens auf und werden mit einer individuellen Persönlichkeit ausgestattet, die menschliche Eigenschaften und Verhaltensweisen nachahmt. Die kreativen Möglichkeiten für Content-Ersteller und Marketingteams sind grenzenlos. Doch damit das Erscheinungsbild der virtuellen Personen auch die gewünschte Influencer-Persönlichkeit widerspiegelt und den Markenzielen entspricht, müssen alle Designentscheidungen gut überlegt sein. Im Folgenden zeigen wir, wie verschiedene Charakterdesigns Konsumentenreaktionen beeinflussen können (siehe Box 1).
Was für menschenähnliche und was für comicartige Charaktere spricht
Die Bedeutung der Menschenähnlichkeit virtueller Charaktere wird unterschiedlich beurteilt. Dem Paradigma „computers are social actors“ zufolge reagieren Konsumenten positiver auf ein menschenähnliches Gegenüber: Dieses wecke mehr Vertrauen, wirke stärker präsent in den sozialen Medien und steigere die Kaufabsicht. Studien belegen, dass es uns leichter fällt, Beziehungen zu menschenähnlichen Charakteren aufzubauen, was wiederum unsere Einstellungen, unser Vertrauen und unsere Loyalität positiv beeinflusst. Im Gegensatz dazu warnt die „Uncanny Valley“-Theorie davor, dass realistisch wirkende virtuelle Figuren den Konsumenten auch unheimlich vorkommen können. Studien zu der Frage, wie Menschen auf hyperrealistische Charaktere reagieren, zeigen, dass gerade ihre vermeintliche Echtheit auch negative Reaktionen hervorrufen kann. Vor allem Konsumenten, die das erste Mal mit KI-Influencern in Berührung kommen, können Unbehagen empfinden oder menschenähnliche digitale Charaktere ablehnen. Designentscheidungen müssen deshalb sowohl die beabsichtigte Wirkung als auch die Konsumentenempfindungen berücksichtigen.
Virtuelle Charaktere steigern das Produktinteresse
Unsere Studie ergab, dass sowohl menschenähnliche als auch comicartige Influencer und Berater das Interesse an den Produkten deutlich steigern konnten. In jedem Szenario kauften die Teilnehmer signifikant häufiger die Produkte, die von der virtuellen Person empfohlen worden waren. Das Design der Charaktere hatte jedoch je nach Rolle und Kontext unterschiedliche Auswirkungen auf die Einstellungen und Verhaltensweisen der Konsumenten.
Sowohl menschenähnliche als auch comicartige Influencer und Berater konnten das Interesse an den Produkten deutlich steigern.
Charakterdesignentscheidungen sind kritisch
Das Charakterdesign hat einen großen Einfluss auf die Wirkung virtueller Influencer. Interessanterweise schnitt die Comicfigur durchgängig besser ab als ihre menschenähnliche Kollegin: Sie wirkte ausdrucksstärker, lebensechter und empathischer, und ihr wurde eine größere emotionale Tiefe attestiert (in Abbildung 2 im Merkmal „als menschenähnlich wahrgenommen“ zusammengefasst). Der Comicstil sorgte nicht nur für weniger Unbehagen bei den Teilnehmern, sondern ließ die Story auch glaubwürdiger erscheinen, was wiederum zu engeren Beziehungen sowie einer größeren Zufriedenheit und einer größeren Sympathie für die Person führte. Die Folge: Die Teilnehmer kauften mehr Produkte, wenn sie die Comicfigur empfohlen hatte, und interagierten auch auf Social Media stärker mit ihr.
Für die Kauffreudigkeit hat sich der „Gruselfaktor“ als entscheidend erwiesen. Da die comicartige Figur weniger unheimlich wirkte, erzielte sie deutlich höhere Konversionsraten, insbesondere bei Teilnehmern, die das erste Mal mit KI-Influencern in Berührung kamen. Diejenigen, für die virtuelle Influencer nicht neu waren, empfanden beide Varianten als gleich unheimlich. Mit zunehmender Verbreitung virtueller Persönlichkeiten wird dieser Unterschied aber eher nachlassen. Unterschiedliche Designs werden künftig wohl weniger Einfluss auf das Wohlbefinden und die Konversionsraten haben.

Chancen und Herausforderungen für Marketingmanager, Konsumenten und die Gesellschaft
Unsere Studie hat gezeigt, dass virtuelle Persönlichkeiten einen großen Einfluss auf Kaufentscheidungen haben können. Je nach Kontext spielt das Charakterdesign dabei eine wichtige Rolle. Unsere Erkenntnisse helfen Content-Erstellern, Markenmanagern, Konsumenten und der Gesellschaft, den Umgang mit virtuellen Charakteren zu reflektieren und zu gestalten.
> Das Charakterdesign sollte auf die Marketingziele abgestimmt werden
Comicartige KI-Influencer werden als emotional ansprechender und weniger unheimlich wahrgenommen als menschenähnliche. Bei digitalen Beratern spielt das Erscheinungsbild dagegen keine Rolle; sie müssen vor allem funktional sein. Markenmanager sollten das Charakterdesign deshalb auf die Kampagnenziele abstimmen und berücksichtigen, ob die Zielgruppe bereits mit virtuellen Personen vertraut ist. Unerfahrene Konsumenten reagieren auf hyperrealistische Designs sensibler. Zudem sollten die Auswirkungen auf die Zielgruppen und die Markenwahrnehmung regelmäßig überprüft werden. Durch kleine Anpassungen lässt sich das Engagement aufrechterhalten und der Frustration vorbeugen.
> Konsumenten sollten mehr digitale Kompetenz im Umgang mit KI-Charakteren entwickeln
Der zunehmende Einsatz virtueller Influencer verlangt von den Konsumenten mehr digitale Kompetenz. Sie müssen beurteilen können, wie die computergenerierten Persönlichkeiten ihr Leben beeinflussen. Konsumenten sollten sich bewusst sein, dass die Charaktere extra dazu erschaffen wurden, eine emotionale Verbindung aufzubauen und Konsumentenpräferenzen und Kaufentscheidungen zu beeinflussen, und dies bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. Transparenz und Aufklärung versetzen Konsumenten in die Lage, im digitalen Marketing zwischen seriösen Empfehlungen und bewusster digitaler Einflussnahme zu unterscheiden, und fördern einen gesünderen Umgang mit digitalen Medien.
> Es braucht ethische Standards für den Umgang mit virtuellen Charakteren
Unsere Studie zeigt, wie wichtig die Entwicklung ethischer und branchenbezogener Standards im Virtual Influencer Marketing ist. Kreierte Charaktere können die Grenze zwischen Realität und Virtualität verschwimmen lassen und zu Problemen mit der eigenen Identität, dem Selbstwertgefühl und gesellschaftlichen Normen führen. Ihre Fähigkeit, menschliches Verhalten nahezu perfekt nachzuahmen, wirft Fragen bezüglich ihrer Authentizität auf und könnte falsche Maßstäbe für junge Menschen setzen. Hier würden Regelwerke helfen, die Marketingteams dazu verpflichten, die Künstlichkeit der Charaktere auszuweisen. Psychologische und kulturelle Auswirkungen sollten diskutiert werden, etwa die Frage, ob die virtuellen Charaktere unrealistische Idealvorstellungen fördern oder Nutzer dazu verleiten, ihnen zu sehr zu vertrauen. Nur durch die Entwicklung verantwortungsvoller Praktiken können die Vorteile virtueller Charaktere genutzt und die Konsumenten geschützt werden.
KI-Influencer werden im digitalen Marketing immer üblicher. Content-Ersteller und Markenmanager sollten deren Potenzial weiter erforschen. Spezifische Persönlichkeiten erschaffen zu können, bietet neue Möglichkeiten, erfordert aber auch verantwortungsvolle Design-Entscheidungen sowie deren regelmäßige Überprüfung.
LITERATURHINWEISE
Kaiser, C., Manewitsch, V., Schallner, R., & Fenne, E. (2024). Personality over looks: The impact of virtual influencer design on brand engagement and purchase decisions. 15. Wissenschaftliche Tagung des ADM, der ASI und des Statistischen Bundesam- tes, Wiesbaden.
Kaiser, C., Manewitsch, V., & Schallner, R. (2024). The human factor in virtual influence: Decoding the role of human-like traits in digital characters on shaping consumer choices and brand engagement. NIM Insights 2024/2.