Die Zukunft des Einzelhandels: Was wir von Influencer-Strategien lernen können
Immer öfter beeinflussen Influencer die Kaufentscheidungen der Konsumenten maßgeblich und mischen damit die gesamte Handelsbranche auf. Bislang wurden Influencer und Influencerinnen eher als Werbemittel betrachtet, mit dem Unternehmen und Marken auf ihre Produkte aufmerksam machen. Mittlerweile haben sie jedoch Methoden entwickelt, die nicht nur für mehr Interesse an den Produkten sorgen, sondern das gesamte Kundenerlebnis auf eine Art verändern, die Einzelhändler nachdenklich stimmen sollte: vom Werbemittel zum Wettbewerber. Influencer sind selbst zu Händlern geworden und stellen die klassische Beziehung zwischen Händlern und ihren Kunden auf den Prüfstand. Ihr Erfolgsrezept: Sie verbinden Marketing, Produktexpertise und Zielgruppenkommunikation zu einem ganzheitlichen Erlebnis. Das gilt vor allem für die Kosmetik-, die Mode- und die Einrichtungsbranche. Eine Beauty-Influencerin empfiehlt ihren Followern zum Beispiel nicht einfach nur ein Hautpflegeprodukt, sondern zeigt ihnen auch, wie sie dieses in ihre persönliche Pflegeroutine integrieren können. Sie erklärt die Produktvorteile und gibt Tipps, was man besser nicht tun sollte. Für die Follower sind die Inhalte leicht verständlich und sie fühlen sich individuell angesprochen. Diese Art von persönlicher Beratung geht weit über das hinaus, was klassische Handelsunternehmen ihren Kunden in Form von statischen Produktbeschreibungen und allgemeinen Anwendungstipps bieten.
Unternehmen, die in dieser neuen Realität bestehen wollen, dürfen Influencer nicht länger nur als Werbemittel betrachten, sondern müssen erkennen, was sie tatsächlich sind: Wettbewerber, denen es häufig leichter fällt, Konsumenten und Konsumentinnen zu erreichen.
Influencer verändern nicht nur das Kaufverhalten der Konsumenten, sie zwingen Handelsunternehmen auch dazu, ihr Geschäftsmodell zu überdenken.
Was Influencer besser können als Einzelhändler
Influencer haben gegenüber Händlern in mehrerlei Hinsicht die Nase vorn. Besonders gut gelingt es ihnen, Konsumenten zu inspirieren, die Explorationsphase interessant zu gestalten, die Kaufentscheidung zu erleichtern und die Zufriedenheit mit der Wahl abzusichern (siehe Abbildung 1). In diesen Bereichen tun sich Einzelhändler deutlich schwerer – vor allem in Online-Umgebungen mit ihren wenig persönlichen Kauferlebnissen. Influencer entwickeln personalisierten Content, der die Konsumenten da abholt, wo sie stehen, und den Kaufprozess einfacher und gleichzeitig angenehmer macht. Abbildung 1 zeigt, in welchen Bereichen sie Händlern überlegen sind.
> Produktvisualisierung, Produktdemo und Storytelling
Influencer stellen ein Produkt nicht einfach nur vor, sondern betten es in einen der Zielgruppe vertrauten Kontext ein. Eine Influencerin für Wohnkultur präsentiert zum Beispiel nicht einfach nur ein Sofa, sondern zeigt ihren Followern auch, wie dieses in ein Zimmer passt. Sie spricht über dazu passende Stoffe und Farbtabellen und erklärt, wie das Möbelstück zur Raumatmosphäre beiträgt. Die Story vermittelt, wie das Sofa dem Lebensstil der Follower entspricht, und erreicht Konsumentinnen, die nach Inspiration suchen.
Der Handel konzentriert sich dagegen in der Regel auf das Produkt: Es wird meist in einer austauschbaren Umgebung präsentiert und lediglich durch Informationen über das Produkt ergänzt. Das ist zwar informativ, aber nüchtern. Der Aufbau emotionaler Bindungen und die Inspiration bleiben auf der Strecke. Deshalb sind immer öfter Influencerinnen und Influencer die erste Anlaufstelle der Konsumenten. Sie helfen ihnen, sich in der überwältigenden Vielfalt an Angeboten zurechtzufinden und dabei wohlzufühlen.

> Individuelle Produktauswahl
Anders als viele Händler nehmen Influencer eine Produktvorauswahl für ihre Follower vor. In einer Welt unbegrenzter Möglichkeiten verspüren Konsumenten häufig Entscheidungsmüdigkeit. Während Händler ihre Produktpalette stetig erweitern, tun Fashion-Influencerinnen genau das Gegenteil: Sie präsentieren ihren Followern eine exklusive Auswahl an „Must-haves“ für die Saison, die ausreichend Variationsmöglichkeiten bietet, dass sie sich individuell anfühlt, aber nicht so umfangreich ist, dass sie die Zielgruppe überfordert. Das erleichtert die Entscheidung und verbessert das Shopping-Erlebnis.
Influencerinnen zeigen, wie sich einzelne Kleidungsstücke für einen bestimmten Anlass kombinieren lassen, wie die Teile in eine übergeordnete Outfit-Strategie passen und wie man sie selbstbewusst trägt. Dieser Fokus auf Lifestyle und Selbstvertrauen wirkt besser als ein herkömmlicher Produktkatalog. Er macht Einkaufen zu einem Gesamterlebnis, das weit über die transaktionszentrierten Kauferfahrungen im Handel hinausreicht.
Gerade Einzelhändler mit einem großen Sortiment tun sich hier schwer: Sie bieten zu viel Auswahl und zu wenig Orientierungshilfe und überfordern ihre Kunden damit.
> Emotionale Beziehungen
Während für klassische Einzelhändler der Geschäftsabschluss im Vordergrund steht, hat für Influencer die emotionale Verbindung zur Zielgruppe Priorität. Konsumenten betrachten Influencer als Gleichgesinnte, nicht bloß als Verkäufer. Diese Beziehung entsteht mit der Zeit – durch authentisches Auftreten, regelmäßigen Kontakt und ein echtes Interesse für die Bedürfnisse und Vorlieben der Follower. Influencer treten als verlässliche Berater auf, die Konsumenten durch die unübersichtliche Angebotslandschaft manövrieren und zielsicher zu den relevantesten und hochwertigsten Produkten führen. Händler genießen meist weniger Vertrauen. Sie können zwar mit einem großen Produktsortiment und attraktiven Preisen aufwarten, doch es gelingt ihnen seltener, emotionale und langfristige Kundenbeziehungen aufzubauen.
> Direkter Austausch und Bestätigung nach dem Kauf
Influencer helfen nicht nur bei der Entscheidung, sondern geben ihren Followern auch nach dem Kauf das Gefühl, die richtige Wahl getroffen zu haben. Das gelingt ihnen oft besser als klassischen Händlern. Die Bestätigung läuft über direkte Interaktionen wie Frage-und-Antwort-Sessions, Live-Videos oder Reaktionen auf Kommentare. Influencer beantworten Fragen, gehen auf Bedenken ein und geben Tipps. Dadurch können sie ihren Followern das Gefühl vermitteln, richtig entschieden zu haben. Der persönliche Kontakt wirkt vertrauensbildend und die Unsicherheit, die Konsumenten nach Online-Käufen häufig plagt, wird verringert.
Was der Handel von Influencern lernen kann
Der Handel muss auf diese Entwicklungen reagieren und kann sich von Influencern einiges abschauen. Durch stärker personalisierte und interaktive Ansätze und die Vorauswahl der präsentierten Produkte können auch Händler ihren Kundinnen und Kunden mehr Orientierung und Sicherheit geben. Auch in Sachen Flexibilität machen es ihnen die Online-Trendsetter vor: Influencer sind Meister darin, schnell relevanten Content zu erstellen, der in Echtzeit auf die Wünsche und Bedürfnisse der Zielgruppe eingeht. Sie reagieren zügig auf Trends und ihr Content wirkt stets frisch und aktuell. Um eine ähnliche Unmittelbarkeit zu erreichen, könnten Einzelhändler typische Influencer-Content-Formate übernehmen, etwa Frage-und-Antwort-Sessions, Blicke hinter die Kulissen oder von ihren Mitarbeitern erstellte Inhalte. Abbildung 2 zeigt Influencer-Strategien auf, die Einzelhändler in einer immer stärker von Influencern geprägten Handelslandschaft in Betracht ziehen sollten.

Den Einzelhandel neu denken: Influencer als Treiber der Geschäftsmodellinnovation
Das vielleicht interessanteste Ergebnis unserer Forschungsarbeiten: Influencer verändern nicht nur das Kaufverhalten der Konsumenten, sie zwingen Handelsunternehmen auch dazu, ihr Geschäftsmodell zu überdenken. Einzelhändler setzen noch häufig auf Masse und Effizienz. Das Ergebnis sind breite Sortimente, aber wenig Personalisierung und emotionale Ansprache. Influencer haben andere Prioritäten: Sie bauen Communitys auf, schaffen Vertrauen und bieten individuelle Erlebnisse, die den Lifestyle und die Werte ihrer Zielgruppe widerspiegeln. Hinzu kommt, dass immer mehr Influencer und Influencerinnen auch eigene Produktlinien verkaufen. Fitness-Influencer kooperieren zum Beispiel auch in der Produktentwicklung mit Marken oder bieten ihre eigenen Sport-Kollektionen an, die speziell auf die Vorlieben ihrer Follower zugeschnitten sind. Das funktioniert, weil sie mit ihrem Publikum und dessen Bedürfnissen und Werten bestens vertraut sind. Handelsunternehmen entwickeln Produkte dagegen häufig auf Basis allgemeinerer Markttrends und sind mit den Bedürfnissen ihrer Kunden weniger detailliert vertraut.
Durch die Integration der Influencer-Persönlichkeit in ein Produktangebot entstehen Vertrauen, Authentizität und Relevanz. Um Ähnliches zu erreichen, könnten auch Handelsunternehmen einen Community-Ansatz verfolgen, mit dem sie sich weniger am Massenmarkt orientieren und mehr in die Beziehungen zu einzelnen Kundensegmenten investieren. Auch Influencer-Kooperationen sind vielversprechend, um gemeinsam exklusive Kollektionen zu entwerfen, wie es in der Modebranche bereits geschieht.
Influencer und Influencerinnen haben neue Maßstäbe für Kauferlebnisse geschaffen. Ihr Content-orientierter Ansatz ist immersiv, dynamisch und hochpersonalisiert – Faktoren, auf die Konsumenten und Konsumentinnen heute zunehmend Wert legen. Auch Händler können sich in diese Richtung weiterentwickeln. So könnte beispielsweise Sephora seine Influencer-Kooperationen durch Online-Beratungen oder Live-Tutorials mit Beauty-Influencerinnen erweitern. Derartige Erlebnisse kurbeln nicht nur den Verkauf an, sondern schaffen auch ein Gefühl von Gemeinschaft und Vertrauen, das im Einzelhandel bislang häufig Mangelware ist.
Durch die Integration der Influencer-Persönlichkeit in ein Produktangebot entstehen Vertrauen, Authentizität und Relevanz.
Von Konkurrenz zu Kooperation
Unserer Ansicht nach liegt die Zukunft des Einzelhandels in einem hybriden Modell, in dem Unternehmen und Influencer enger zusammenarbeiten, um ihren Kunden ausgewählte, erlebnisorientierte Angebote zu unterbreiten. Händler, die Veränderungen in den Kundenerwartungen ignorieren, laufen Gefahr, irrelevant zu werden, denn immer mehr Konsumenten suchen bei Influencern nicht mehr nur Anregungen, sondern wollen direkt kaufen. Trotzdem sollten Händler Influencer und Influencerinnen nicht nur als Konkurrenten betrachten, sondern auch als mögliche Kooperationspartner, von denen sie lernen können. Unternehmen, die stärker auf Individualisierung, Communitys und Erlebnisse setzen, werden künftig besser in der Lage sein, auf einem Influencer-getriebenen Markt zu bestehen.
FURTHER READING
Campbell, C., & Farrell, J. R. (2020). More than meets the eye: The functional components underlying influencer marketing. Business Horizons, 63(4), 469–479. https://doi.org/10.1016/j.bushor.2020.03.003
Rosengren, S., Campbell, C., & Farrell, J. R. (2024). Tricks of the trade: Understanding and utilizing influencer tactics to improve retailer performance. Journal of Retailing and Consumer Services, 79, 103857. https://doi.org/10.1016/j.jretconser.2024.103857