Wenn Fans zu Feinden werden: Wie man negativen Dynamiken im Influencer Marketing vorbeugt
Der Erfolg von Influencern basiert nicht allein auf Hochglanzfotos und griffigen Überschriften, sondern vor allem auf einem „Intimitätspakt“. Dabei handelt es sich um eine subtile und stillschweigende Vereinbarung, dass Influencer und Influencerinnen ihren Followern im Austausch für deren Unterstützung ein Gefühl von Intimität vermitteln. Von dieser Vereinbarung profitieren beide Seiten: Die Follower führen eine parasoziale Beziehung mit Influencern – sie haben das Gefühl, die Menschen persönlich zu kennen, da diese regelmäßig „private“ Momente mit ihnen teilen und auf ihre Kommentare reagieren. Das vermittelt Vertrautheit. Im Gegenzug belohnen Fans die Influencer mit Aufmerksamkeit und Engagement – wichtigen Gütern, die sich durch Display-Werbung und Markenpartnerschaften zu Geld machen lassen. Doch dieser Intimitätspakt birgt Risiken: Wird er gebrochen, können aus Fans Feinde werden.
Aus Fan wird Feind – wenn der Intimitätspakt zerbricht
Der Intimitätspakt steht auf wackeligen Beinen, denn parasoziale Beziehungen zwischen Influencern und Followern sind eigentlich einseitig: Die sorgfältig erzeugte Intimität ist eine reine Illusion. Wenn Influencer aus Sorge um ihre Privatsphäre plötzlich weniger von sich preisgeben, die Kommunikation mit ihrer wachsenden Anhängerschaft zurückfahren oder beginnen, Kommentare stärker zu moderieren, sodass auch konstruktive Kritik zensiert wird, zerbricht diese Illusion – und die Follower fühlen sich ausgeschlossen und ignoriert. Dieses Gefühl wird noch verstärkt, wenn Influencer gleichzeitig ihre Werbetätigkeit intensivieren. Dann haben Follower häufig zusätzlich das Gefühl, ausgenutzt zu werden. In ihren Augen halten sich die Influencer nicht mehr an die stillschweigende Vereinbarung. Der Intimitätspakt zerbricht, und Freundschaft und Bewunderung schlagen in Wut und Verachtung um. Anstatt dass die Follower dem Influencer jedoch einfach den Rücken kehren, gibt es vor allem im englischsprachigen Raum einen Trend: Viele enttäuschte Follower schließen sich in „Gossip-Foren“ wie Tattle Life, Guru Gossip oder GOMI (Get Off My Internet) zusammen, um ihrem Ärger Luft zu machen. Hier wird der vermeintliche Intimitätspakt thematisiert: Die Mitglieder äußern ihre Wut darüber, dass der Influencer seinen Teil der Abmachung nicht eingehalten hat, und sparen nicht mit Kritik. Aus Fans werden Feinde.
Um nachhaltig erfolgreich zu sein, müssen Influencer die Illusion von Intimität aufrechterhalten, die dem Intimitätspakt zugrunde liegt.
Der Wunsch nach Vertrautheit und Vergeltung: Warum Anti-Fan-Communitys beliebt sind
Wir haben zwei in England bekannte Anti-Fan-Communitys – jeweils mit etwa 200 000 Mitgliedern – untersucht und herausgefunden, dass „Anti-Fans“ dort versuchen, die verloren gegangene Illusion von Intimität wiederherzustellen. Sie füllen die Lücken in den Geschichten der jeweiligen Influencer mit ihren eigenen Theorien, die sie durch akribische Online-Recherche und dabei gesammelte „Beweise“ untermauern und die die Influencer in keinem guten Licht zeigen. Außerdem glauben die Foren-Mitglieder fest daran, dass die Influencer ihre Threads lesen und in Social-Media-Posts auf dort geäußerte Kritik reagieren. Dadurch fühlen sie sich wieder gesehen und ernst genommen, auch wenn sie sich auf anderen Plattformen ignoriert fühlen. Da die Influencer aus Followersicht ihren Teil der Vereinbarung nicht eingehalten haben, brechen auch die Follower den Pakt: Statt sich den offiziellen Content der Influencer anzusehen und ihnen dadurch monetarisierbare Klicks und Views zu bescheren, informieren sie sich in den Foren über sie. Gossip-Foren werden auch dazu genutzt, Massenklagen über regelwidrige Posts bei Behörden zu organisieren, Markenpartner mit Beschwerden über den Influencer zu fluten oder beworbene Marken zu boykottieren. Abbildung 1 zeigt, wie der Intimitätspakt zustande kommt, warum er zerbricht und welche Anti-Fan-Reaktionen daraus erwachsen können. Typische Foren-Posts aus unseren Studien illustrieren dies.

Wie Anti-Fans Influencern und Marken schaden können
Enttäuschte oder wütende Follower können Influencern und ihren Markenpartnern erheblichen Schaden zufügen, selbst wenn sie ihrem Ärger „nur“ in Online-Foren abseits der Social-Media-Profile und Content-Seiten der Influencer Luft machen.
> Reputationsschaden
Wenn man Influencer googelt, erscheinen Anti-Fan-Communitys häufig ganz oben in den Suchergebnissen. Wer sich also über einen Influencer oder eine Influencerin informieren will, stößt schnell auf kritische Kommentare zu dieser Person. Das könnte nicht nur bestehende Fans vergraulen, sondern auch potenzielle Markenpartner abschrecken. Unsere Untersuchungen zeigen, dass viele Anti-Fans als Erstes auf kritische Online-Foren stoßen, wenn sie im Web nach dem Influencer suchen.
> Kommerzieller Schaden
In Anti-Fan-Communitys können Follower Content von Influencern konsumieren, ohne dass diese finanziell davon profitieren. In den Foren, die wir uns angesehen haben, wurden eigene Links geteilt, über die man YouTube-Videos von Influencern aufrufen konnte, in denen die Display-Anzeigen geblockt waren. Andere Mitglieder teilten unterhaltsame Zusammenfassungen oder Parodien auf Influencer-Content, in denen sich die Community über die Person informieren konnte, ohne Klicks oder Views für diese zu generieren. Das hat negative Folgen für die Sichtbarkeit von Marken-Kooperationen und kann die Wirksamkeit von Influencer-Marketing-Kampagnen untergraben.
> Rechtliche Probleme, Beschwerden und Markenboykotte
Immer wieder reichen Anti-Fans gemeinsam Beschwerde bei Regulierungsbehörden ein, in der Hoffnung, dass diese die Influencer für regelwidrige Marken-Präsentationen belangen. Im Extremfall wenden sie sich sogar gegen die von Influencern empfohlenen Marken, indem sie deren Social-Media-Beiträge negativ kommentieren, den Marketingverantwortlichen wütende E-Mails schreiben und sogar mit Markenboykott drohen, sollten diese die Zusammenarbeit mit der Influencerin nicht beenden.
Entscheidungen über die Zusammenarbeit mit Influencern sollten deshalb nicht allein anhand von Followerzahlen getroffen werden.
Wie Influencer Vergeltungsmaßnahmen vorbeugen können
Um nachhaltig erfolgreich zu sein, müssen Influencer die Illusion von Intimität aufrechterhalten, die dem Intimitätspakt zugrunde liegt. Das gilt vor allem, wenn ihre Werbetätigkeiten zunehmen. Die Art und die Frequenz ihrer Postings müssen konstant bleiben, auch wenn sie keinen unmittelbaren finanziellen Vorteil bringen. Influencer, die ihre Seite des Intimitätspakts nur erfüllen, wenn Profit winkt, sind Followern suspekt. Zudem müssen Influencer regelmäßig auf die Kommentare ihrer Fangemeinschaft reagieren, auch wenn diese wächst, und sie sollten kritische Äußerungen nicht löschen oder blockieren. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sie ihre Fans auf Gossip-Foren treiben, wo diese sich dann unzensiert über sie auslassen können. Wir empfehlen Influencern, konstruktive Kritik zuzulassen, ihren Followern zuzuhören und auf deren Bedenken einzugehen (siehe Abbildung 2). Das ist zwar zeitaufwendiger, als Kommentare zu blockieren, führt aber dazu, dass sich die Fans gesehen fühlen. Und das wiederum stärkt den Intimitätspakt und beugt Anti-Fan-Bewegungen vor.

Wie sich Marken vor Anti-Fan-Aktionen schützen können
Influencer Marketing ist für Unternehmen lukrativ. Doch Manager sollten sich bewusst sein, dass die Liebe und die Bewunderung, die Follower Influencern entgegenbringen, nicht in Stein gemeißelt sind. Zerbricht der Intimitätspakt, schadet dies nicht nur den Influencern selbst, sondern auch den Marken, mit denen sie kooperieren. Entscheidungen über die Zusammenarbeit mit Influencern sollten deshalb nicht allein anhand von Followerzahlengetroffen werden. Wichtig ist es, auch die Influencer-Follower-Beziehung zu analysieren, um herauszufinden, welche Influencer auf ehrliche und langfristige Beziehungen setzen und wessen Fans Anzeichen von Unzufriedenheit zeigen oder gar schon in Gossip-Foren aktiv sind. So können Marken von vornherein risikobehaftete Personen ausschließen. Wichtige Anhaltspunkte sind hier die Häufigkeit und Bereitschaft, in bzw. mit der Influencer mit ihren Fans kommunizieren und auf ihre Anliegen eingehen, das Verhältnis zwischen kommerziellem und organischem Influencer-Content sowie die Präsenz und das Verhalten von Anti-Fans in gängigen Gossip-Foren. Abbildung 3 fasst Empfehlungen zusammen, wie Marken negative Gefühle und Boykottaufrufe vermeiden können.

Vorsorge ist die beste Medizin
Da Anti-Fan-Communitys Influencern und Marken erheblich schaden können, sollten alle Beteiligten daran arbeiten, möglichst nicht zu deren Zielscheibe zu werden. Marken sollten sich nicht von oberflächlichen Erfolgskriterien wie Followerzahlen oder Engagement-Raten beeinflussen lassen, sondern müssen bei der Auswahl ihrer Kooperationspartner genauer hinsehen. Influencer und ihr Management wiederum sollten daran interessiert sein, gute Beziehungen zu Followern zu bewahren, und Fans keinen Grund liefern, zu Feinden zu werden. Die Popularität von Anti-Fan-Communitys zeigt, was passieren kann, wenn der erfolgsnotwendige, aber fragile Intimitätspakt vernachlässigt wird. Es gilt: Vorsorge ist die beste Medizin. Influencer müssen sich proaktiv an die stillschweigende Vereinbarung mit ihren Anhängern halten, denn unsere Studien haben keinen Nachweis gebracht, dass sich Anti-Fans wieder zu Fans bekehren lassen. Proaktives Beziehungsmanagement entscheidet also über Erfolg und Misserfolg in der Welt der Influencer.
LITERATURHINWEISE
Mardon, R., Cocker, H., & Daunt, K. (2023). When parasocial relationships turn sour: Social media influencers, eroded and exploitative intimacies, and anti-fan communities. Journal of Marketing Management, 39(11–12), 1132–1162. https://doi.org/10.1080/0267257X.2022.2149609
Mardon, R., Cocker, H., & Daunt, K. (2023). How social media influencers impact consumer collectives: An embeddedness perspective. Journal of Consumer Research, 50(3), 617–644. https://doi.org/10.1093/jcr/ucad003
Duffy, B. E., Miltner, K. M., & Wahlstedt, A. (2022). Policing “fake” femininity: authenticity, accountability, and influencer antifandom. New Media & Society, 24(7), 1657–1676. https://doi.org/10.1177/14614448221099234